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7. März 2025 // #
Zuletzt geändert am 08. März 2025

Boston Marathon 2024: Der Traum jedes Läufers

Boston Marathon 2024: Der Traum jedes Läufers

Der Boston Marathon zählt zu den legendärsten seiner Zunft.

Er ist nicht nur der älteste Wettkampf über die 42,195 Kilometer, sondern auch das anspruchsvollste Major-Marathon-Event.

Doch wie fühlt es sich an, von Hopkinton über Newton bis in das Ziel auf der Boylston Street zu laufen?

Dank meiner persönlichen Bestzeit von 2:38:54 Stunden vom Chicago-Marathon 2022 hatte ich die Qualifikationszeit für den Boston Marathon sicher.

Im Gegensatz zu den anderen fünf Major-Marathons, gibt es für Boston keine Lotterie, in die man seinen Namen werfen kann.

Für die Teilnahme am ältesten Marathon der Welt benötigt man also entweder eine schnelle Bestzeit oder das nötige Kleingeld.

Laufreiseveranstalter verkaufen die beliebten Startplätze für eine Menge Geld.

Das Thema habe ich bereits hier aufgegriffen, daher spare ich mir die kritischen Kommentare an dieser Stelle.

Das spezifische Training für den Boston Marathon fiel kürzer aus als gewöhnlicher – im Fokus stand der "TransGranCanaria" im Februar.

Nicht, weil mich das Trail-Event mehr fasziniert hätte, sondern weil mir bewusst war, dass Boston kein Ort für Bestzeiten ist.

Dafür sollte ich aber von all den Berg-Intervallen auch beim Marathon profitieren.

Zwischen dem harten Bruch vom Laufen auf ausgetretenen Pfaden zum Racing auf knallharten Asphalt blieben mir gute sechs Wochen Vorbereitungszeit.

Meinen Körper auf die 42,195 Kilometer einzustimmen, war dank des vorherigen Ultra-Marathon kein Problem.

In den verbleibenden Wochen ging es hauptsächlich darum, an der Geschwindigkeit und an der Tempohärte zu feilen.

Kuriose Rituale

Meine Reise in die Staaten beginnt wie die Trips nach Chicago und zum Marathon in New York: In der Küche.

Entweder habe ich eine unbegründete Angst in den USA zu verhungern oder es ist mein Aberglaube, der mich immer wieder dazu bringt, meine eigenen Müsliriegel für den Flug und die Tage vor Ort zu backen.

Hier findest du das Rezept für die gesunden Haferflockenriegel.

Nachdem mich die Haferflocken-Snacks in Chicago zur persönlichen Bestzeit getrieben haben, gehören sie zur Pflichtausrüstung.

Sobald die Riegel im Backofen bräunen, packe ich meine Tasche.

Wohlgemerkt mitten in der Nacht.

Denn auch hier hängt die Angst, meinen Flug zu verpassen, über meinem Kopf wie das Schwert von Damokles.

Die Nacht vorher durchzumachen, hemmt zwar die Regeneration, hilft mir aber beim Kampf gegen den Jetlag.

Wie sagt man in der IT so schön?

"Never change a running system!"

Der Hinflug ist ein absoluter Traum!

Der Flieger ist nicht ausgebucht – damit bin ich die einzige Person in der letzten Viererreihe des A370.

Bei so viel Bein- und Körper-Freiheit fällt es schwer, die Augen nach dem Abendessen nicht zu schließen.

Doch genügend Kaffee und seichtes Entertainment verhindern den ersehnten Schlaf bis zur Landung im "Logan International Airport" östlich von Boston.

Nach einem längeren Aufenthalt bei der Grenzkontrolle verzichte ich auf die zusätzliche Stunde Bahnfahrt zum Hotel.

Innerhalb von 20 Minuten bringt mich mein Taxi in meine Unterkunft im Vorort Quincy.

Ich spiele kurz mit dem Gedanken, meine Laufschuhe für die geplanten 45 Minuten zu schnüren, beuge mich jedoch dem Wunsch nach einer vernünftigen Regeneration von Körper und Geist.

Nach 46 Stunden ohne Schlaf sicherlich die beste Entscheidung – im Zweifel hätte der Trainingsreiz ohnehin nur negative Folgen.

Klassenfahrt zum Start

So lang die Anreise auch gedauert haben mag, so schnell vergeht die Zeit vor Ort.

Das liegt hauptsächlich daran, dass Boston eine Menge für Touristen parat hält.

Besonders die Historie hat es mir als halben Briten angetan – den "Freedom Trail" erkunde ich zunächst auf eigene Faust, einige Tage später mit einer selbstgeführten Audio-Tour.

Ein Trip nach Salem nehme ich ebenfalls mit, um etwas mehr über die Hexenjagd zu erfahren.

Dazwischen gibt es natürlich das klassische Sightseeing und der Besuch auf der Marathon-Messe.

Allein der Tag vor dem Race ist zur Erholung geplant.

Die "Hop-On-Hop-Off"-Tour ist dafür wie gemacht.

Seit Beginn des weltweit ältesten Marathons, findet der Boston Marathon am Montag – am "Patriots Day" – statt.

Der Ablauf am Wettkampf-Tag bleibt natürlich gleich, dennoch ist der Start an einem Montag ungewohnt.

Der Morgen beginnt um 04:30 Uhr: Körperhygiene, Frühstück, Toilettengang und abschließender Check der "Finish Area"- sowie der "Starting Area"-Beutel.

Pünktlich und zuverlässig bringt mich das georderte Taxi zum "Boston Common" – dem ältesten Stadtpark der Vereinigten Staaten.

Meinen Zielbeutel wird in einem der ikonischen, gelben Schulbusse deponiert.

Dieselben Modelle bringen die Teilnehmer zum Start in Hopkinton.

Denn anders als bei konventionellen Marathon-Veranstaltungen läuft man in Boston keinen Rundkurs, sondern eine Strecke von A nach B.

Von der Abgabe der Beutel, über die Organisation in der US-amerikanischen Stadt bis hin zum Shuttle zum Startbereich – der Boston Marathon ist hervorragend organisiert.

Pferde drosseln

Ein Marathon läuft durch den Magen.

Nicht nur während der Belastung, auch schon davor.

Der Start um 10 Uhr ist für einen Frühaufsteher wie mich sehr spät – zwischen meinem Frühstück und dem Beginn des Marathons liegen rund fünf Stunden.

Eine Zeitspanne, in der ich definitiv schon wieder hungrig werde.

Damit die Energietanks zum Startschuss jedoch ordentlich gefüllt sind, trinke ich mein Kohlenhydrat-Getränk eine Stunde vor dem Race in kleinen Schlücken.

Zusätzlich nehme ich unmittelbar vor dem Start ein koffeinhaltiges Energie-Gel zu mir.

Mir war die Startzeit des Boston Marathon selbstverständlich bewusst, weshalb ich die Verpflegungsstrategie vor meiner letzten harten Tempo-Einheit im heimischen Köln auch exakt so ausgeführt habe.

Keine Experimente am Wettkampf-Tag!

Sicherlich hätte ich mein Frühstück auch im Shuttle-Bus essen können, allerdings wollte ich den verpflichtenden Toiletten-Besuch auf dem "Porta John" vermeiden und stattdessen alles in den eigenen vier Wänden "erledigt" haben.

Boston war die vorherigen Tage nicht unbedingt mit Frühlingswetter gesegnet.

Niedrige Temperaturen, Regen und Wind haben mich auf meinen letzten Trainingseinheiten vor Ort regelmäßig fluchen lassen.

Doch pünktlich zum "Patriots Day" knallt die Sonne – bereits am Vormittag zeigt das Thermometer 20 Grad an.

Den Tipp meiner Trainerin, ich solle versuchen, im Startbereich nicht auszukühlen, ist überflüssig.

Sowohl beim Warten als auch beim WarmUp benetzen feine Schweißperlen meine Stirn.

Beim Gang zur Startlinie rinnt der Schweiß entlang meines Gesichts.

Es wird ein heißer Tag – die richtige Flüssigkeitszufuhr entscheidet heute über die Performance aller Teilnehmer.

In meinem Startblock schlängeln sich die letzten Kurzentschlossenen noch bis ganz nach vorne, wo sie aus meinem Sichtfeld verschwinden, weil es für den ersten Kilometer direkt 30 negative Höhenmeter zu "bewältigen" gibt.

Tatsächlich vermittelt das Streckenprofil den Eindruck, es ginge – abgesehen von einigen "Wellen" – die ersten 15 Kilometer nur bergab.

Allein der erste Teil des Boston Marathon könnte für einige zum Verhängnis werden.

Denn es ist die ungewohnte exzentrische Belastung, die direkt wertvolle Körner raubt, sofern man die Downhills zu aggressiv läuft.

"Nicht gleich zu Beginn durchdrehen": Was vor jedem Wettkampf gilt, hat in Boston ein exponentiell höheres Gewicht.

O! say can you see

Die USA wäre nicht sie selbst, wenn die amerikanische Hymne vor dem Startschuss eines Mega-Events nicht gesungen würde.

Ich habe nichts gegen Patriotismus.

Für Adrenalin und Motivation bevorzuge ich jedoch schnelle Rock-Musik, wie sie üblicherweise vor europäischen Laufveranstaltungen gespielt wird.

Mit einem lauten Knall schickt uns Rob Gronkowski, der Edel-Passfänger von NFL-Ex-Superstar Tom Brady, auf die Reise von Hopkinton zurück nach Boston.

Die ersten 25 Kilometer des Rennens laufen wie geschnitten Brot.

Von Hopkinton, über Ashland, Framingham, Natick und Wellesley kann ich die Pace trotz welligem Streckenprofil konstant halten.

Die dezenten Anstiege rauben mir natürlich einige Sekunden pro Kilometer, die seichten Downhills gleichen den kurzen Tempo-Verlust am "Berg" jedoch schnell wieder aus.

Meine Beine fühlen sich locker, das Herz schlägt mit 168 BPM.

Ich halte die Vorgabe, die mir meine Trainerin für das Pacing des Rennens empfohlen hat.

Trotz eines spürbaren Drucks auf meine Blase, greife ich mir an den Verpflegungsstationen, die in Boston großzügig bei jeder Meile platziert sind, konsequent einen Becher Wasser.

Der kleine Schluck, der den Weg vom Papp-Gefäß in mein Mund findet, kann die Blase ohnehin nicht weiter füllen.

Dafür verzögert er aber die Dehydrierung.

Das stetige Auf- und Ab auf der Marathonstrecke ist nicht nur Gift für die Beine.

Die kontinuierlichen Schwankungen der Pace-Anzeige müssen auch mental verkraftet werden, da angestrebte Tempovorgaben aufgrund der Anstiege häufig nicht getroffen werden.

Glücklicherweise habe ich mein Körper- und Tempogefühl für meine Zielpace im Training geschärft.

Zur Absicherung zeigt das Datenblatt meiner GPS-Uhr aber auch die "Durschnitts-Pace" über die gesamte Belastung.

Nach 26 Kilometern macht sich eine Illusion in mir breit, meine persönliche Bestzeit zu knacken.

Das durchschnittliche Tempo prognostiziert eine Zielzeit von 2:36 Stunden.

Doch dieser Traum soll bereits am Horizont zerbersten.

Boston Marathon 2024
Der regelmäßige Blick auf die Uhr ist wie ein Mantra – Herzfrequenz und Pace sind noch im "grünen Bereich".

Heartbreak Hill

Unmittelbar nach dem letzten schnellen Kilometer befinde ich mich auf einem Anstieg – er ist nicht sonderlich steil, dafür aber endlos lang.

Nach dem Marathon sollte ich erfahren, dass es sich bei dieser Erhebung um die sogenannten "Newton Hills" gehandelt hat.

Zwei knackige Anstiege, deren zweifelhafter Ruf dem des "Heartbreak Hill" in nichts nachsteht.

Hier fällt mein Tempo zum ersten Mal unter vier Minuten, ehe sich die Pace im Downhill wieder normalisiert.

Dieses Spiel wiederholt sich beim zweiten Anstieg.

Und beim dritten.

Und letztendlich auch beim vierten mit dem kleinen Unterschied, dass ich den meist gefürchteten Part nach der Gipfelbesteigung vom "Heartbreak Hill" hinter mir gelassen habe. 

Für die letzte Bergankunft zahle ich jedoch einen hohen Preis.

Meine Energietanks nähern sich einem gefährlichen Level.

Selbst ohne Herzfrequenz-Vorgaben und trotz regelmäßiger Energie- und Flüssigkeitszufuhr hätte ich die Hügel nicht schneller laufen können.

Das ewige Auf- und Ab bis zu diesem Quadrupel an Anstiegen war enorm kräftezehrend.

Zusätzlich versetzt die brutale Mittagssonne das herbeigesehnte Ziel in eine unerreichbare Entfernung.

Boston Marathon 2024
Dank der vielen Berg-Intervalle habe ich anfangs kaum Probleme mit dem rollenden Gelände in Boston ...
Boston Marathon 2024
... die Newton Hils und der "Heartbreak Hill" rauben mir letztendlich aber doch ordentlich Reserven.

Boston Strong

Die verbleibenden zehn Kilometer laufe ich im Autopilot buchstäblich nach dem Motto "Augen zu und durch".

Denn der Körper wird mit jedem Schritt immer müder – die Augen offen zu halten, kostet wertvolle Energiereserven, die ich lieber in den Erhalt der Laufbewegung investiere. 

Bereits im Vorfeld hatte ich von der legendären Atmosphäre am Streckenrand des Boston Marathon gehört.

Mehr als eine halbe Millionen Fans und Zuschauern feuern die Läufer auch an diesem Tag an.

Musik dröhnt aus Boxen, Live-Bands geben ihre Songs zum Besten, es wird gepfiffen und geschrien.

"You got this!", "Keep on going!", "Only six more miles!", "Come on, 1011!" – es stehen keine Namen auf der Bib, weshalb die Fans ihren Trägern frenetisch die Startnummern zurufen.

Boston Marathon 2024 Fans
Am Wellesley College ist die Stimmung richtig aufgeheizt: Im selbsternannten ”Scream Tunnel” verteilen die College-Girls nicht Anfeuerungsrufe, sondern auch Küsschen für die Teilnehmer

Vor solch einer Kulisse möchte ich mir auf den letzten Kilometern nicht mehr die Blöße geben und meine Kraftlosigkeit offenbaren.

Zudem flammt noch ein letztes Mal die Hoffnung auf, eine neue persönliche Bestzeit zu laufen.

"Nach dem Heartbreak Hill kannst du es rollen lassen" – der gut gemeinte Tipp eines Kölner Laufkollegen lässt sich jedoch schwierig in die Tat umsetzen.

Zwar rollt der Zug, doch die verbleibenden Hügel bremsen die Fahrt nach Boston immer wieder aus.

Zunächst passiere ich das Kilometerschild 40, kurz darauf die 25-Meilen-Marke.

Verzweifelt halte ich auf den verbleibenden 2.195 Metern Ausschau nach den 800-, 600- und 400-Meter-Schildern, um meinem Kopf vorzuspielen, dass die Quälerei der vergangenen halben Stunde bald endlich ein Ende hat.

Vergebens.

Statt auf zusätzliche Markierung setzt die Boston Athletic Association auf ihre Zuschauer.

Die Strecke folgt einer letzten Rechtskurve.

Der Doppler-Effekt sorgt dafür, dass ich die Fans schon jetzt verzerrt wahrnehme.

Ich biege ein letztes Mal nach Links auf die "Boylston Street" ab – der Straße, auf der im Jahr 2013 zwei feige Sprengstoffanschläge verübt wurden.

Als Reaktion auf dieses Attentat entstand der Slogan "Boston Strong" – ein Leitsatz, der das Schildermeer entlang der "Boylston Street" auch heute säumt.

Ich nehme mir das Motto zu Herzen und meine Beine ein letztes Mal in die Hand.

Für einen "Kick", wie man ihn von Bahnrennen kennt, reicht es nicht – das Tempo kann ich trotzdem nochmal kurzfristig erhöhen.

Ich finishe den Boston Marathon exakt nach 2:41:00 Stunden.

Boston Marathon 2024 Schlusssprint
Für einen echten Zielsprint fehlt mir die Energie …
Boston Marathon 2024 Zielfoto
… mit dem Objekt der Begierde um den Hals sind die Schmerzen aber schnell vergessen

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Robin
Laufen und Schreiben sind meine absolute Leidenschaft. Als ausgebildeter Ausdauercoach, Content-Creator und Chefredakteur helfe ich dir, deine Ziele zu erreichen. Zudem halte dich auch über die aktuellen Neuigkeiten aus der Laufszene und über das neuste Running-Equipment auf dem Laufenden. Ob schnelle 5k oder lange 100 Kilometer, ob auf der Straße, in den Bergen oder in der Wüste – ich fühle mich auf allen Strecken und in jedem Gelände wohl.

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